Ziele und Vorstellungen für die neue Wahlperiode

Coesfeld, 02.11.15 (hlm). Am Donnerstag, 05.11.15, ist er vereidigt worden. Somit hat der im September mehrheitlich gewählte Bürgermeister Heinz Öhmann seine letzte Amtsperiode offiziell angetreten. Über seine Ziele und Vorstellung sprach mit ihm Hartmut Levermann von den Coesfelder Nachrichten.  

Das Wahlergebnis war ein deutlicher Sieg für Sie. Ist es eine Bestätigung für Ihre Politik?  

Öhmann: Sicherlich ist es das. Aber es ist auch das Verdienst des engagierten Teams in der Verwaltung und der vielen ehrenamtlich tätigen Menschen in Coesfeld, die alle was bewegen wollen. So kann Zukunft gestaltet werden. Wir erleben gerade eine Zeit, die zu einer gesamtgesellschaftlichen Herausforderung wird. Die kriegerischen Auseinandersetzungen betrachten wir nicht mehr aus der Ferne in den Medien. Die Auswirkungen erleben wir direkt vor unserer Tür. Menschen, die ihr Leben retten wollen, alles hinter sich lassen. Kinder, die sich mit Hoffnungen auf eine bessere Zukunft ohne Begleitung von Erwachsenen auf den lebensgefährlichen Weg nach Europa machen.   Sie sprechen die Flüchtlingslage an. Sie sind einer der 214 Mitunterzeichner des „Mahnbriefes“ an die Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel und Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, die der Deutsche Städte und Gemeindetag initiiert hat.

Darin wird auch die Begrenzung des Zustroms gefordert. Steht das nicht im Widerspruch dazu?  

Öhmann: Den Widerspruch sehe ich nicht. Der Brief ist als Hilferuf zu verstehen: Im Augenblick läuft alles – ich will den Begriff dafür ausnahmsweise verwenden – chaotisch. 2000 Flüchtlinge kommen geschätzt täglich nach Deutschland. Unsere Notunterkünfte platzen aus allen Nähten. Die Städte und Gemeinden können kaum noch Menschen eine vorübergehende Bleibe bieten. Wir sind praktisch an Kapazitätsgrenzen angelangt.   Auf diesen Zustand haben wir als Stadtoberhäupter deutlich hinweisen wollen. Die in Coesfeld und überall in Deutschland gelebte Willkommenskultur ist die Reflexion unseres christlichen und humanitären Verständnisses. Die angespannte Lage in den Städten kann aber auch Nährboden für die Anhängerschaft von rechtsradikalen Thesen sein. Glücklicherweise ist das in unserer Heimatstadt nicht der Fall. Trotzdem müssen wir zwingend zu einem geordneten System gelangen. Sonst sehe ich einen gravierenden Stimmungsumschwung in der Gesellschaft aufkommen. Dem Mahnbrief ist ein Forderungskatalog beigefügt. Darin wird auch ein europäischer Verteilschlüssel eingefordert. Es ist nach meinem Europa-Verständnis nicht tragbar, dass sich Mitgliedsländer aus ihrer Verantwortung nehmen. Wenn wir ein geeintes Europa sein wollen, dann braucht es in dieser Krise auch gemeinsames politisches Handeln, um den Kriegsflüchtlingen Schutz zu bieten. Stacheldrähte sind das falsche Signal in die Welt.  

Schutz bieten, heißt Personen aufnehmen. Mit wie vielen rechnet Coesfeld?  

Öhmann: Das ist nicht vorhersagbar. Die Zahlen werden täglich nach oben korrigiert. Nach dem Verteilungsschlüssel haben wir mit 0,23 % der in Nordrhein-Westfalen zugewiesenen Flüchtlinge zu rechnen. Für 2016 rechnen wir grob kalkuliert mit 700 bis 800 Flüchtlingen, die wir jahresdurchschnittlich unterbringen und betreuen müssen. Hierfür schaffen wir aktuell den notwendigen Wohnungsraum. Im Augenblick sind wir in der glücklichen Situation, dass uns die 314 Menschen in den Notunterkünften voll angerechnet werden. Das wird nicht mehr lange so bleiben. Sobald die Plätze nicht mehr in Coesfeld vorgehalten werden, werden diese uns zugeschlagen. Doch es besteht eine gesetzliche Übergangsregelung: Monatlich steigt dann unsere Zuweisung schrittweise um 20 %, bis der Sollwert erreicht ist. Nach Auskunft der Bezirksregierung werden mindestens bis zum Ende des ersten Quartals 2016 die Notunterkünfte gebraucht. Wir haben damit einen Zeitgewinn bis zum Sommer 2016, um die Voraussetzungen für die Unterbringung der Menschen zu schaffen. Zehn Häuser stehen bereits zur Verfügung, zwei weiter werden gerade vorbereitet. Langfristig setzen wir auf Wohnraum im privaten Markt.  

Eine Verteilung der ankommenden Flüchtlinge ist das eine. Eine andere Herkulesaufgabe kommt auf uns zu: die Integration der Menschen. Wie schaffen wir das?  

Öhmann: Integration ist kein einseitiger Prozess. Sie lebt von gegenseitiger Respektnahme und des aufeinander Zugehens. Sie findet an den Schnittstellen statt, die wir schaffen müssen. Einbindung in den Arbeitsmarkt, ist zum Beispiel eine solche Schnittstelle. Es sind verschiedene Vorbereitungen u.a. bei der VHS, beim Jobcenter   getroffen. Zusätzlich werden wir in Coesfeld Vertreter von der Agentur für Arbeit und lokal ansässigen Unternehmen an einen Tisch holen. Gemeinsam entwickeln wir einen Weg, Fachkräfte auszubilden und zu vermitteln.  

Das bedarf zunächst den Schritt, die Sprachbarriere aufzuheben.  

Öhmann: Natürlich, die Sprache ist der Schlüssel zur Integration! Da spreche ich an dieser Stelle einen Dank an die vielen Ehrenamtlichen aus, die sich als Dolmetscher und Sprachlehrer an die ankommenden Menschen wenden und erste Brücken bauen. Für die uns zugewiesenen Flüchtlinge mit einer Bleibeperspektive werden tiefer greifende Sprachkurse unternommen. Diese bietet z.B. die Volkshochschule an. Aber der wichtigste Lernort ist der Alltag. Ob auf der Arbeit, beim Einkauf, auf der Straße oder sonst wo, jeder Einzelne kann helfen, diese Menschen in unsere Gesellschaft anzunehmen. Ganz simpel, wie es uns die Kinder auf den Spielplätzen vormachen: ansprechen und miteinander reden. So vermitteln wir den Neubürgern mitten unter uns zu sein und nicht unter sich.   Sie haben vorhin von Schnittstellen gesprochen.

Frühpädagogische und schulische Institutionen, welche Funktion übernehmen diese?  

Öhmann: Eine enorm Wichtige! Kinder lernen, wie trockene Schwämme Wasser aufsaugen. Kindergärten und Schulen sind wertvolle Annäherungsbereiche. Es sind Orte des Lernens. Nicht nur Wissen vermittelnde, sondern auch auf kultureller Ebene. Die Erfahrungen tragen die Kinder in die Familien hinein. Sie werden so zu Botschaftern der Integration.  

Aber viele Kindergärten sind in christlicher Trägerschaft und Grundschulen in Coesfeld sind überwiegend Bekenntnisschulen. Die Flüchtlinge sind zumeist islamischen Glaubens. Können sie die eigene Religion in den Bildungseinrichtungen leben, oder werden sie in die katholische oder evangelische Religion integriert?  

Öhmann: So weit entfernt sind diese Glaubensrichtungen nicht. Der Islam, der jüdische Glaube und das Christentum gehören zu den abrahamitischen Religionen. Wir glauben alle an den einen Gott, den wahren Gott, egal ob wir Jahwe, Gott oder Allah sagen. Aber es ist richtig: Langfristig sollte die islamische Religionslehre dauerhaft im Lehrplan der Schulen enthalten sein. Die ersten Schritte dahin können wir sehen. So hat die Universität Münster seit 2012/2013 den Islam als Bachelorstudiengang für das Lehramt integriert. Bald werden die ersten ausgebildeten Lehrer, die das Fach in Grundschulen und den weiterführenden Schulen unterrichten können, zur Verfügung stehen. Solange die Schulen den Islamunterricht noch nicht anbieten können, zitiere ich ein Mitglied des Coesfelder Türkisch-Islamischen Kulturvereins: „Besser einen christlichen Religionsunterricht, als gar keinen.“ Außerdem weiß ich, dass in unseren Schulen zur Toleranz erzogen und Toleranz gelebt wird.  

Könnten die Flüchtlingskinder ein Rettungsanker für einige Schulen werden, die um das Überleben kämpfen?  

Öhmann: Sie meinen die Hauptschule? Die Hauptschule leistet in Coesfeld hervorragende Arbeit. Ich habe viele positive Rückmeldungen aus der Wirtschaft bekommen. Ich bin der Auffassung, dass diese Schulform kaputt geredet wird und das seit den 80er-Jahren. Die Flüchtlingskinder können und sollen da auch keine Rettungsfunktion übernehmen. Wir müssen die Kinder da abholen, wo sie stehen und dann sehen, wie wir sie am besten verteilen. Da bedarf es zusätzlicher Kapazitäten zur Sprachförderung in den Schulen damit das Lehrerpersonal das leisten kann. Außerdem gibt es bereits Auffangklassen. Und: Seit Oktober 2015 gibt es bereits eine internationale Förderklasse im Pictorius-Berufskolleg. Das wird um weitere Auffangklassen und Förderklassen auch in anderen Schulen ergänzt.    

Da wir gerade bei der Schullandschaft sind. Wird es Veränderungen geben?  

Öhmann: Veränderungen räumlicher Art ja. In dem Haushaltsplan 2016 werden Gelder für den Umbau der Jakobi-Schule und dem Schulzentrum budgetiert. Etwa 17 Millionen Euro sind für die Sanierung und den Umbau des Schulzentrums kalkuliert. Eine Förderung zwischen 25 bis 50 Prozent kann möglicherweise erreicht werden. Aber eine weitere Schulform, wie zum Beispiel eine Gesamtschule, würde erst etabliert werden, wenn der Elternwille bzw. die Schülerzahlen eindeutig sind. Das sehe ich aber nicht. Es sind zwei Befragungen bei den Eltern gemacht worden. Beide repräsentieren im Ergebnis nicht die Basis einer Gründung. Politisch motivierte Beschlüsse sind an dieser Stelle nicht zielführend. Vor allem hat derjenige, der politisch eine Gesamtschule beschließt auch die Konsequenzen: die Schließung von etablierten Schulen.  

Hubertus Schober, der als Gutachter an der Aktualisierung des Schulentwicklungsplans mitwirkte, sprach von 95 Eltern, die sich bei der Befragung im März 2015 für eine Gesamtschule aussprachen. Ein Elternwille ist nicht von der Hand zu weisen. Wenn Sie im neuen Haushalt Finanzmittel für den Umbau des Schulzentrums einplanen, wird dabei die Nutzung als eine gemeinsame Schule mit in Betracht gezogen?  

Öhmann: Die Gründung einer Gesamtschule in Coesfeld hieße die Schließung der Haupschule, einer Realschule und eines Gymnasiums – das wäre Fakt. Zurzeit ist das Schulzentrum Standort eines gegliederten Schulsystems. Der Eingang zur sogenannten Schulstraße stellt eine zentrale Erschließung dar. Die jeweiligen „Seiteneingänge“ am Gymnasium Nepomucenum und an der Theodor-Heuss-Realschule sind das Symbol der eigenen Identität der Schulen. Theoretisch ließen sich die räumlichen Kapazitäten zu einer Schule fusionieren. Bestimmte Funktionen sollen nach den Baumaßnahmen sicherlich auch zentral gebündelt werden; unabhängig von Schulformen.   B

licken wir nochmals kurz auf die Grundschulen. Die Stadt hat sechs Bekenntnisschulen. Es werden Stimmen lauter diese Anzahl zu konzentrieren. Wäre es nicht eine Konsequenz aus dem vorgelegten Schulentwicklungsplan?  

Öhmann: Der Gutachter Schober ist der Auffassung, dass der Bestand der Grundschulen langfristig gesichert ist. Insgesamt rechnet der Schulexperte mit jährlich 12 Eingangsklassen, die sich auf die Schulen verteilen lassen. Das Schulsystem ist ein atmendes System. Es ist abhängig von der Schülerzahl. Sinken die Schülerzahlen, sinkt das Lehrpersonal. Die notwendige Klassenzahl wird kleiner werden – ja, das ist richtig. Es wird aber auch mehr Raum für die Inklusion und den Ganztag benötigt. Am 25. September 2014 hat sich der Rat klar zu den Bekenntnisschulen bekannt. Da stehe ich hinter. Für die Umwandlung in städtische Gemeinschaftsschulen sehe ich keine Veranlassung. Jede einzelne Grundschule hat sich ihr eigens Profil geschaffen. Da steht katholisch oder evangelisch vor dem Namen, aber im Haus ist eine bunte Mischung der Religionszugehörigkeiten. Das Alleinstellungsmerkmal ist nicht die Religion. Sondern die Qualitäten der schulischen Betreuung und des Ganztagsangebotes für die Kinder.  

Ein vielfältiges Bildungsangebot gehört zu den weichen Standortfaktoren und ist für Menschen ein Entscheidungskriterium bei der Wahl eines Standorts. Ein Weiteres ist auch die Stadt selbst. Was macht für Sie die Innenstadt attraktiv?  

Öhmann: Ich freue mich über die Aussagen von Touristen, die von unserem vielfältigen Angebot begeistert sind. Wir haben ein unvergleichbares Kulturprogramm, bei dem die Innenstadt neben dem KonzertTheater eine zentrale Rolle spielt. Viele Stellen in der Fußgängerzone verwandeln sich zeitweise zu Kunst- und Kulturbühnen und magnetisieren die Menschen. Denken Sie an die letzte große Kulturnacht oder die Umwandlung des Marktplatzes zu einer Konzertbühne. Das sind große Highlights, die weit in die Region strahlen. Unsere Stadt hat ein einzigartiges Gesicht durch seine Gebäude und einen liebenswerten Charakter durch die Menschen, die Coesfeld mit Leben füllen. In der Architektur spiegelt sich die Grenzregion wieder. Die norddeutschen und niederländischen Einflüsse zeigen sich im Baustil der Gebäude. Mit dem Regionale-Projekt BerkelSTADT erhalten wir die einmalige Chance, den innerstädtischen Flussverlauf aufzuwerten. Die Berkel hatte in der Vergangenheit ein verstecktes Leben im Hinterhof. Jetzt kann sie das Stadtbild ‚rundmachen’ und in der Zukunft ein Anziehungspunkt für den Tourismus, als auch ein erlebbarer Ort der Begegnung für die Coesfelder Bürgerinnen und Bürger sein. Das Kaufverhalten der Menschen hat sich verändert. Einkaufen hat mehr und mehr einen Eventcharakter bekommen. Der Kunde verweilt in der Stadt und sucht nach Ruhezonen. Die findet er in vielen Bereichen und künftig auch in einer aufgewerteten Bernhard-von-Galen-Straße und im Schlosspark.   

Aber der Leerstand in der Stadt nimmt zu. Juwelier Kloster, Jeansladen, Lesensart werden leer geräumt und Nachmieter gesucht ...  

Öhmann: Ob das ein anhaltender Trend ist, kann ich noch nicht sagen. Gründe liegen manchmal auch in den Raumzuschnitten der Ladenlokale aber auch den Mietpreisvorstellungen der Eigentümer. Hier haben die Vermieter auch die langfristige Perspektive einer Stadt – auch im Eigeninteresse – zu beachten. Eine Stadt ist ein lebendiger Ort. Ein ständiger Wandel an Produkten und Dienstleistungen. Generationen wechseln. Es wäre ein Alarmsignal, wenn wir stehen blieben. Das Postareal, die Davidstraße und die Süringstraße stehen vor großen Umbauprozessen, die die Stadt weiter aufwerten können. Und wir stehen gerade am Anfang eines neuen Weges für die Kunden: Information im Netz bereithalten, kaufen Vorort. Dazu haben wir den CosiSpot eingerichtet – kostenloses WLAN in der Innenstadt. Erste positive Erfahrungen haben die Geschäftsleute damit bereits gemacht. Der Trend wird sich weiter fortsetzen.   

Kunden in die Stadt locken? Gerade im ländlichen Raum ist für viele das Auto unverzichtbares Transportmittel. Da fehlt es an Parkraum. Könnte ein Öffentlich-Privat-Partnership (ÖPP) eine Lösung für den Bau eines Parkhauses sein?  

Öhmann: Keine Frage, es braucht in der Stadt mehr Parkraum. An der Realisierung eines Parkhauses arbeiten wir und sind in intensiven Verhandlungen. Ob ein ÖPP eine Alternative ist, ist eine Frage der Wirtschaftlichkeit. Aber welchen Autoverkehr wollen wir in die Innenstadt bringen? Kurzzeitparker sollen grundsätzlich innerhalb und Dauerparker außerhalb des Ringes Parkplätze finden. Oder: Gibt es ergänzende Lösungen? Parkleitsystem? Auch darüber wird nachgedacht. Mein Ziel in den kommenden fünf Jahren ist es, Coesfeld auf einen zukunftsfähigen Weg zu leiten. Das Regionale-Jahr 2016 wird für uns das Präsentationsjahr von BerkelSTADT. Mit diesem Konzept bringen wir die Stadt weiter nach vorne. Davon bin ich überzeugt. Dafür habe ich mich in der Vergangenheit starkgemacht. Das schaffen wir, wenn alle daran mitwirken.